Einweihung der Stele "Demokratie" am 26. Oktober auf dem Rathausplatz: Reden

Rede des Bürgermeisters Jürgen Kirchner
Sie ist vielleicht die mächtigste Idee der Galaxie
Geboren in Griechenland
Millionen gibt sie Hoffnung, Diktatoren fürchten sie
Der Grund liegt auf der Hand
Doch es gibt sie nicht geschenkt,
einfach ist sie nie
Sie wird überall bedrängt
Sie ist das Beste, was wir haben, aber längst noch nicht perfekt
Nein, weit davon entfernt
Sie verlangt viel Arbeit, ist ein ewiges Projekt
Mit diesem Auszug aus dem Liedtext „Demokratie“ der Band „Die Ärzte“ darf ich Sie herzlich willkommen heißen zur Einweihung der Skulptur des Künstlers Harald Priem mit dem Titel „Demokratie“.
Es freut mich ganz besonders, den Bundestagsabgeordneten Alexander Föhr zu diesem Anlass begrüßen zu dürfen, die Landtagsabgeordneten Fadime Tuncer und Sebastian Cuny werden in Kürze auch noch dazustoßen.
Mein Willkommensgruß gilt auch dem Vorstand des Familienheim Rhein Neckar Herrn Dr. Glatte und Sandra Heckmann von der Volksbank, die das Projekt mit ihrem Sponsoring unterstützt haben.
Ebenso darf ich die Mitglieder des Kunstplatz e. V., stellvertretend Frau Borschert und Frau König, begrüßen, die sich mit großem Engagement für das Projekt eingesetzt und die heutige Veranstaltung konzipiert haben.
Nicht zuletzt freut es mich, dass auch der Künstler anwesend ist, der die Stele geschaffen hat. Herzlich willkommen Herr Priem.
Allen Genannten aber auch allen Ungenannten ein herzliches Willkommen!
Vor 75 Jahren, am 23. Mai 1949, trat das Grundgesetz in Kraft, mit seiner Unterzeichnung wurde die Bundesrepublik Deutschland gegründet.
Wir treffen uns im Jubiläumsjahr des Grundgesetzes, weil wir uns einem zutiefst humanen Menschenbild verpflichtet fühlen, das ihm die Gründungsmütter und -väter aufgrund der Erfahrungen mit totalitären Regimen eingeschrieben haben – einem Menschenbild, wie es der Artikel 1 in einem einzigen knappen Satz festhält:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Meine Damen und Herren,
dieser in Artikel 1 (1) verankerte Schutz der Menschenwürde steht an erster Stelle des Grundgesetzes. Und das nicht ohne Grund: Vier Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hatten die Väter und Mütter des Grundgesetzes noch die grauenhaften Verbrechen des Naziregimes vor Augen, als sie sich dazu entschlossen, die Würde des Menschen ganz obenan zu stellen.
Das bedeutet auch: Der Staat ist um des Menschen willen da und findet seine Daseinsberechtigung darin, die Entfaltung der Würde des Menschen zu fördern und zu schützen.
Dieses Selbstverständnis und die darauf gründende Verfassung sind die Richtschnur all unserer politischen Entscheidungen. Sie bilden die Grundlage unserer Demokratie.
Deshalb lässt sich der Schutz der Menschenwürde auch nicht vom Parlament außer Kraft setzen, sondern unterliegt der sogenannten Ewigkeitsgarantie. Als oberstes Gut der Verfassung und höchster Rechtswert in unserem Staat kommt diesem Grundrecht eine Sonderstellung zu, denn es ist – wie auch Artikel 20, der besagt, dass die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat ist – unabänderlich: Es darf in keinerlei Weise berührt werden.
Der Schutz der Menschenwürde steht somit über allem. Er wirkt in alle Richtungen. Der Künstler Harald Priem hat diese Gedanken in eine gestalterische Form gebracht. Er hat sich behutsam dem Thema angenähert und etwas geschaffen, das fortdauern und fortbestehen wird, und dies nicht in einem leeren und geschichtslosen Raum, sondern an einem Ort, der Geschichte und die Geschichten von Menschen in sich aufbewahrt, dem Rathaus.
Wir vergessen nicht, dass am 22. Oktober 1940 in unmittelbarer Nähe, auf der anderen Seite des Rathauses, die letzten 19 Hemsbacherinnen und Hemsbacher jüdischen Glaubens zusammengetrieben und mit Tausenden anderen Jüdinnen und Juden aus Baden nach Gurs deportiert wurden. Die Würde des Menschen? Sie galt nichts.
Heute steht genau dieser Ort, unser Rathaus, für Begegnung, für Miteinander, für Kommunikation, für Leben, und ja, auch für Würde. Daran soll die Stele erinnern, heute und in Zukunft.
Eine Stele spiegelt die Geschichte, das Geschehene, und spiegelt das Jetzt, sie mahnt und erinnert, steht im Heute und weist auf die Zukunft. Sie lädt ein zum Innehalten und Nachdenken.
In allen Weltkulturen gibt es die aufrechtstehende Säule, den aufrechtstehenden Pfeiler oder – ganz archaisch – den aufrecht aufgestellten Stein. Die aufrechtstehende Stele, die wir heute einweihen, soll auch für etwas stehen, nämlich für eine aufrechte Haltung.
Meine Damen und Herren,
was die Väter und Mütter des Grundgesetzes vor 75 Jahren beschlossen, entsprang ihrer eigenen aufrechten Überzeugung. Sie zogen Lehren aus verhängnisvollen Schwächen der ersten deutschen Republik. Sie wollten es besser machen, handelten im eigenen tiefen Bewusstsein der Notwendigkeit nach dem namenlosen Leid und Unrecht der zurückliegenden Jahre des Nazi-Regimes sich auf humanistische Werte zu besinnen und diese festzuschreiben.
Mit der Verabschiedung des Grundgesetzes durch den Parlamentarischen Rat wurde der Weg zu einem deutschen Staat frei, der für Menschenrecht, Demokratie und Frieden einsteht; einem Staat mit unantastbaren und einklagbaren Grundrechten. Alle staatliche Gewalt wurde in klare verfassungsmäßige Schranken verwiesen, alle politische Macht unter der Obhut des neu geschaffenen Bundesverfassungsgerichts rechtsstaatlich gebändigt. Das Grundgesetz, von Politikern geschaffen, setzt höheres Vertrauen in das Recht als in die Politik.
So konnte sich das Verhältnis der Bürger zum Staat entscheidend wandeln. Der Staat sollte nicht mehr wie bisher über den Bürger verfügen können, sondern er wurde zum Schutz der Rechte des Einzelnen verpflichtet. Der Rechtsstaat wurde zur Rechtsgemeinschaft, zur Einrichtung der Bürger füreinander.
Meine Damen und Herren,
wir hier in Hemsbach füllen mit allen anderen Kommunen in Deutschland unser Grundgesetz mit Leben. Wir lassen als Bürgermeister, als Gemeinderatsmitglieder, unsere Demokratie Wirklichkeit werden.
Deswegen ist es wichtig, bei einem solchen Jubiläum selbst einmal innezuhalten und sich die Bedeutung des Grundgesetzes bewusst zu machen. Dass wir uns einen Moment Zeit nehmen, uns vor Augen zu führen, wo wir stehen, wofür wir stehen und auf welchem Fundament unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft aufbaut.
Wir alle tragen Verantwortung für das Kleine und Kleinräumige, und zusammen sind wir damit zugleich unverzichtbar für das Große und Ganze, für die demokratische Gestalt unseres Landes.
Wir sind es, die vor Ort umsetzen, was in Bund und Ländern entschieden wird – was oft großer Anstrengungen bedarf, wie wir jüngst in der Flüchtlingspolitik erlebt haben. Wir werben auch für Akzeptanz für Entscheidungen und Beschlüsse und wir stärken den Zusammenhalt, wo er verloren zu gehen droht. Wir sind für viele Anliegen die Adresse vor Ort –in Krisenmomenten genauso wie im Alltag.
Kommunen wie Hemsbach sind die Heimat und sie sind die Werkstatt der Demokratie.
Wo, wenn nicht dort, wo Menschen dem Staat so direkt begegnen, können sie Vertrauen in das Prinzip der Teilhabe gewinnen und lernen, selbst Verantwortung zu übernehmen?
Wo, wenn nicht bei uns in den Kommunen, können sie auch Vertrauen in andere Menschen entwickeln und die Bereitschaft, ihnen Aufgaben und Verantwortung zu übertragen?
Die Schöpfer unserer Verfassung haben an den mündigen Bürger geglaubt, als sie ihm die Mitwirkungsmöglichkeiten zusprachen.
Der Geist unseres Grundgesetzes unterscheidet sich damit elementar vom Ungeist undemokratischer Staatsgewalt. Selbstbewusste Bürger und selbstverwaltete Kommunen sind in autoritären und totalitären Systemen unerwünscht.
Umso wichtiger ist es mir, Hemsbach tatsächlich als Werkstätte der Demokratie zu begreifen, als einen Raum, in dem wir die Debatten-Demokratie einüben, einen Raum, in dem wir lernen, die größere politische, kulturelle, auch religiöse und ethnische Diversität zu berücksichtigen, die sich in unserem Land entwickelt hat.
Unterschiede, Widersprüche und sogar Gegensätze werden ein Teil unserer Wirklichkeit in einer globalisierten Welt bleiben, ob uns das gefällt oder nicht. Sie werden dieses Land weiter bestimmen. Diese Pluralität gilt es auszuhalten!
Machen wir uns also immer wieder bewusst: Demokratie ist das Beste unter den politischen Modellen – im Unterschied zu anderen politischen Systemen existiert sie, weil ihre Bürger sie wollen, weil wir sie hegen, pflegen und gegen extremistische, antidemokratische Kräfte verteidigen.
Der Rechtsstaat und die Demokratie sind keine Errungenschaften, die einmal erworben werden und dann selbstverständlich sind. Die rechtsstaatliche Demokratie war und ist eine gefährdete Staatsform, die von jedem jeden Tag verteidigt werden muss.
Und die Gefahren für diesen Rechtsstaat werden in diesen Tagen wieder allzu offensichtlich.
Der demokratische Rechtsstaat setzt voraus, dass sich Bürgerinnen und Bürger im Alltag mit Respekt, Toleranz und Fairness begegnen, dass sie füreinander Verantwortung übernehmen und sich auch im Streit um Wahrheit und Wahrhaftigkeit bemühen. Das, meine Damen und Herren, halte ich für den Grundkonsens von Demokratie.
Wo dieser Grundkonsens missachtet wird, gerät das friedliche Zusammenleben in Gefahr.
Und wir, meine Damen und Herren, die wir den Grundkonsens teilen und hochhalten, sollten jenen, die dies nicht tun, entgegentreten! Wir dürfen nicht zulassen, dass sich unsere Gesellschaft spaltet. Wir dürfen nicht schweigend den Kopf wegdrehen, sondern müssen aktiv Position beziehen. Die schweigende Mehrheit muss ihr Schweigen brechen und unseren demokratischen Grundkonsens verteidigen!
Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar. Daran müssen wir festhalten und das aktiv leben, wir müssen uns stark machen für Toleranz, Respekt und Mitgefühl. – Als im November 1938 die Synagogen brannten und zwei Jahre später 19 Menschen hier auf dem Rathausplatz zusammengetrieben und nach Gurs verschleppt wurden, war es dafür zu spät.
Das müssen wir uns immer wieder bewusst machen. Demokratie ist kein Selbstverständnis. Wir müssen sie schützen und verteidigen, heute mehr und intensiver denn je. Wenn rechte Parteien heute, legitimiert durch Wahlen, in Landesregierungen drängen, dann ist es nicht ihre Absicht Politik zu gestalten, sondern das demokratische System anzugreifen und in ein autoritäres System umzuwandeln. Die konstituierende Sitzung des Thüringischen Landtages hat uns einen ersten Vorgeschmack darauf gegeben. Wenn Politiker dieser Parteien dann noch von Remigration sprechen, spätestens dann weiß man um die Absichten und das Gedankengut, in dem die Würde des Menschen keine Rolle spielt.
Wir, die Bürgerinnen und Bürger haben unseren Staat zu dem gemacht, was er heute ist – ein Land der Freiheit und des Rechts. Und das soll so bleiben.
Mir war dieses Projekt sehr wichtig und ich danke Herrn Priem, dass er es mit der Stele so aussagekräftig umgesetzt hat, wie Sie es heute sehen können. Eine klare Aussage an einem Standort, der besser nicht dafür geeignet sein könnte.
Ich danke Frau Borschert und Frau König vom Kunstplatz e.V. die sofort diese Idee aufgegriffen und gewohnt engagiert und professionell umgesetzt haben und ich danke dem Familienheim Rhein Neckar, die einen nicht unwesentlichen Betrag für dieses Projekt gespendet hat, ebenso wie der Volksbank Kurpfalz für die finanzielle Unterstützung.
Mein Dank gilt auch Frau Helfrich und Frau Pittner für die Organisation der Feierstunde, Claus Boesser-Ferrari für die musikalischen Beiträge und den Herren des Bauamtes und des Bauhofs für das Stellen der Stele. Sie haben gewohnt hervorragende Arbeit geleistet.
Ein ganz großes Dankeschön gilt den Schülerinnen und Schülern für ihren beeindruckenden Wortbeitrag und die geschaffene Ausstellung zum Thema Demokratie, ebenso wie an ihre Lehrerin Frau Seyler, die dieses Thema mit den Schülern aufgearbeitet hat.
Und Ihnen allen danke ich für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank.
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Rede von Dr. Christiane Boschert, Vorsitzende des Fördervereins KunstPlatz e. V.
Herzlich willkommen, meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde des Kunstplatzes Hemsbach!
Ich freue mich sehr, dass Sie heute so zahlreich erschienen sind, um mit uns die Einweihung der Stele “Demokratie” zu feiern.
Vor 75 Jahren, im Jahr 1949, wurde das Grundgesetz verabschiedet. Es markierte den Beginn einer neuen Ära – einer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft nach den dunklen Jahren des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Diktatur. Mit dem Grundgesetz haben wir eine Verfassung, die die Würde des Menschen, die Freiheit, Gleichheit vor dem Gesetz und die Meinungsfreiheit garantiert. Diese Werte bilden die Grundlage unseres Zusammenlebens und prägen bis heute unser Miteinander.
Im Januar dieses Jahres wandte sich Bürgermeister Jürgen Kirchner an uns, um in diesem Jubiläumsjahr ein Zeichen zu setzen – ein bleibendes Kunstwerk nahe dem Rathaus, das sichtbar an die Errungenschaften und die Herausforderungen der Demokratie erinnert. Wir haben diese Idee gerne unterstützt und eine Ausschreibung unter den Künstlerinnen und Künstlern der Region gestartet. Die Auswahl war nicht einfach, doch letztendlich fiel die Entscheidung auf den Entwurf von Harald Priem. Er ist ein freischaffender Künstler aus Mannheim, der bereits mit seiner Stele “Destruktion” auf dem Vorplatz der ehemaligen Synagoge in Hemsbach ein beeindruckendes Zeichen gesetzt hat. Auch sein neuer Entwurf sollte uns zum Nachdenken und Dialog anregen.
Es gab viele Schritte, um dieses Projekt zu verwirklichen – von der Standortwahl am Rathaus über die Planung bis hin zur endgültigen Aufstellung des Kunstwerks. Heute sehen wir das Ergebnis dieser gemeinsamen Anstrengungen.
Diese Stele ist mehr als nur ein Kunstwerk, sie ist ein Mahnmal. Sie erinnert uns daran, dass Demokratie kein Selbstläufer ist. Sie muss aktiv gelebt, verteidigt und gepflegt werden. Demokratie ist nur dann stark, wenn wir alle daran teilhaben, wenn wir unsere Meinungen offen austauschen und dabei bereit sind, auch andere Perspektiven zu respektieren.
Toleranz ist hierfür ein unverzichtbarer Grundpfeiler. Sie bedeutet nicht, dass wir uns in allem einig sein müssen – im Gegenteil. Toleranz erfordert, dass wir auch gegensätzliche Meinungen akzeptieren und uns offen damit auseinandersetzen. Nur so schaffen wir ein Klima, in dem Vielfalt als Bereicherung und nicht als Bedrohung empfunden wird. Unsere Demokratie lebt vom konstruktiven Streit, vom fairen Austausch und von der Fähigkeit, trotz unterschiedlicher Ansichten das Gemeinsame zu suchen. Helmut Schmidt hat es treffend formuliert: „Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine.“
Diese Stele ist ein Symbol für das Recht auf Meinungsvielfalt, für den respektvollen Umgang miteinander und für die unveräußerliche Würde des Menschen. In einer Zeit, in der unsere Gesellschaft von Polarisierung, Fake News und Misstrauen geprägt ist, ist es umso wichtiger, diese Werte zu bewahren und zu verteidigen.
Lebendige Demokratie heißt auch, gemeinsam zu gestalten. Ein wunderbares Beispiel dafür haben die Schülerinnen und Schüler der Friedrich-Schiller-Gemeinschaftsschule geliefert. Unter der Leitung von Frau Seyler haben sie eigene kreative Kunstwerke geschaffen, die den Geist der Demokratie verkörpern. Ihr Engagement zeigt, dass Demokratie nicht nur eine politische Angelegenheit ist, sondern auch ein kulturelles und gesellschaftliches Projekt. Ihnen gilt mein herzlicher Dank!
Zum Abschluss bleibt mir zu sagen: Lassen Sie uns die Stele “Demokratie” als ein sichtbares Zeichen dafür begreifen, dass Freiheit, Toleranz und ein respektvolles Miteinander die Grundpfeiler unseres Zusammenlebens sind. Möge sie uns daran erinnern, dass Demokratie täglich neu gestaltet werden muss – durch Dialog, Engagement und das mutige Eintreten für unsere Werte.
Vielen Dank!
Foto: Karl Döringer